Rezensionen 13er-Tag
von Naomi Exner
Der Lügner
Ein liebevoller, humoristischer Blickwinkel auf die Menschen, voll Poesie. Die Inszenierung von Ines Kretschmar spielt in Venedig. Die Gruppe setzt Goldoni´s Text lebendig auf die Bühne. Die Männer und ihr Werben um die Frauen wird ordentlich auf die Schippe genommen.
Wer fragt sich nicht insgeheim mit welcher Taktik die Liebste wohl zu gewinnen ist?
Bunte Varianten dafür zeigt uns der Lügner. Oder besser: der geistreiche Erfinder, denn so beschönigt sich die Hauptfigur des Stücks. Auf den ersten Blick kann der junge Mann die Situationen erstaunlich geschickt für sich nutzen.
Flink wandelt er sie so, dass er vor der Liebsten ins beste Licht rückt. Das Gedicht? Von ihm. Der Stoff? Von ihm. Der stille Liebhaber ist geduldig: Gut Ding will Weile haben.
Die Beziehungen zu den Frauen entwickeln sich entsprechend der Grundtendenz der Taktik. Die einen sind kurzweilig. Sie bergen nur „scheinbar“ intime Momente und diese verfliegen rasch. Die Lügen des geistreichen Erfinders haben kurze Beine.
Der zurückhaltende Liebhaber aber geht auf Stelzen. Er wendet den Kurs mit ruhigem Blut auf einen Schlag für sich. Sehr zur Überraschung seines Dieners, der für diese hirnverbrannt defensive Methode wahrlich kein Verständnis aufbringen kann.
Aber Rosaura heiratet den Stillen und der Lügner fliegt auf.
Der DS-Kurs zeigt eine angenehm leichte Perspektive auf die verzweifelten Kämpfe des Lebens. Persönliche Einwürfe würzten Goldonis Grundlage: Textunsicherheiten trugen sehr zur Erheiterung des Publikums bei. Und zur Erhöhung der Spannung. ,-)
Die Insel der Glückseligen
„Ja wir schaffen das!“, mit diesem Ausruf eröffnet die Gruppe von Frank Paulukat ihr Spiel. Die Schüler erklären ihre ausgestellte Spielweise nach Brecht´ scher Art in der ersten Szene selbst: „Wir sind alle nur Theaterpuppen.“ Eine Aufforderung an das Publikum, hinter die präsentierte Fassade zu schauen, hinter der Herr und Frau Fledermaus auf ihrer Insel leben. Ein Schiffbrüchiger entdeckt gemeinsam mit den Zuschauern eine neue Welt. Eine Welt aus
einsichtig „Kranken - ohne Gott und ohne Glauben“.
Durch Stilbrüche von Musikwahl und Szenenspiel wird das Stück zur Collage. Interessant vor allem durch unterschiedliche Körperlichkeit der vielfältigen Figuren: Ein trottelig, einfacher Naturmensch Wachtel, eine naiv-neugierige Fledermaus-Tochter, eine runde Bäuerin und liebevolle Details wie eine rollende Kuh.
Abgesehen davon ist das Stück voll von politischer Absurditäten, metaphorischer oder allegorischer Art: Die Herrscher sind gierige Blutsauger, das Volk lässt willig saugen, zahlt diesen Preis für „Glückseligkeit“, in welcher Form auch immer. In einer Stripshow stellt sich die vom Wissenschaftler vermarktete Gerechtigkeit bloß, und wird von den begierigen Körpern begraben. Gier. Macht. Sexualität. Ausbeutung.
Die Lösung liegt für den Schiffbrüchigen außerhalb des Systems. Er verlässt die Hölleninsel. „Ihr seid doch alle bekloppt.“ Offen bleibt, wohin ihn die Wellen tragen.
Sofort kam mir bei diesem Stück Shakespeares Ausspruch in den Kopf:„All the world´s a stage, and all the men and woeman merely players.” Es erinnert es mich an die verschiedenen Hüte, die wir tragen auf den jeweiligen Situations-Inseln: Wir durchleben so viele Rollen auf diesen Inseln, ob als Freundin, Politikerin oder Vater. Da kommt es schon vor, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.
Die Familie G.
Ein Hexenschwarm surrt durch das Stück der Brennerbühne. Mal mischen sie sich in die Handlung ein, mal beobachten sie lustvoll das verzweifelte Treiben der Menschen, mal tanzen sie in dunkelrotes Licht getaucht.
Auch in diesem Stück geht es um die Suche nach einer Wahrheit. Die Familie findet den toten Jüngsten. Und: “Rache, Rache, Rache schwören wir.“ Die berühmte Zeile, Kleists zweite Version ist die bekanntere: „Familie Schroffenstein“, erklären die Schüler.
Man sagt, der Onkel erschlug den Jungen. Der Mann der Kirche bestätigt, für etwas Kleingeld. Eine weitere Art der Erkenntnisgewinnung: Man kann sich die Wahrheit also auch kaufen. Kein Guter Handel, wie sich später herausstellt. Das Kind hatte einen Unfall. Irren und Rache waren ohne ´wirklichen´ Anlass. Die Hexen waren stets die Wissenden.
Stimmungsvolle Kontraste, auch in Licht und Kostümfarben, tragen das Stück, denn in ihnen prallen (moralische) Lebenswelten die aufeinander. Zwischen und den Hexen der unschuldigen Ines im Tonnen-Kessel. In den recht sittsam, romantischen Momenten zwischen Ines und ihren Verehrern. Dem Pater und den zarten Adelsfrauen und den herumirrenden Vätern. Spielschwerpunkt liegt für mich auf der einzelnen Spielerpersönlichkeit.
Percussion und mystische Rhythmen untermalen das Spiel. Sonst sorgt die musikalische Begleitung zweier Schülerinnen für weitere Kontraste. Bekannte Volksliedmelodien und die „kleine Frühlingsweide“ der Comedian Harmonists brechen das südländisch düstere Flair auf der Bühne. Das Stück hat dadurch seinen ganz eigenen Soundtrack.
Die Polizei
Widerstand. Wer gefangen ist, ist im Widerstand. Nur wogegen? Gegen die Unterdrückung. Nur wovon eigentlich?
Im Gefängnis „in einem Polizeistaat“ wird die Außenwelt über den Kack-Kübel kontaktiert. Mit dem Informationsergebnis, dass in Zelle 17 tatsächlich die Letzen widerstehenden, kriminellen Elemente sitzen. Ehemalige Radikale der politischen Szene.
Und auch diese Widerständler fassen den Entschluss dem Gedeien der Gemeinschaft von nun an zu Nutzen. Sie werden entlassen, von der Polizei.
Die Polizei. In diesem Stück einerseits die hörige Masse aus rhytmisch-dichtenden Pim-Pom-Polizisten, die Schläge vergeben und sich selbst zwar wichtig, aber nicht ernst nehmen.
Und andererseits die Instanz von Außen. Voll Patriotismus. Und Macht.
Bei den Figuren stellt sich heraus: Jeder ist sich selbst der Nächste. Und zuerst kommt das Fressen. Die persönliche Motivation ist die Wahre: Einerseits werden Ideale aufgegeben, um eigene Freiheit wiederzugewinnen. Andererseits werden Menschen geopfert um die persönlichen Ideale durchzusetzen. Und wer am längeren Hebel sitzt drückt am meisten durch.
Mal wieder.
Spannung entsteht zusätzlich durch die Verdeckungsspiele. Die Schüler lassen uns durch ihr geschicktes Spiel im Unklaren, ob die Figur Intrigen spinnt, oder aus wahrhaft menschlichem Interesse handelt und die eigenen Werte offen vertritt.
Aber mit eigenen Werten kommt man sowieso durcheinander. Und nur in die Bredullie, so wie der Sergeant. Es gibt im Staatssystem Schubladen und in jede gehört etwas hinein. Der Sergeant fragt: “Was habe ich zu sein?“, und „Widerständler!“, antwortet das System. Denn davon gibt es keine mehr, also müssen welche her.
Spätestens als der Sergant sich für sein Vaterland in Gefangenschaft begibt, beißt sich das System in den Schwanz mit seinen blöden Schubladen.
Der Sergeant durchläuft die heilende Staatskur der Einzelhaft. In dieser Läuterung wird er durch die Reizlosigkeit selbst gefährdend und verliert den Bezug zur Realität – was auch immer das eigentlich heißen mag. Sagen wir mal, dieser tapfere „beste Staatsmann“ hat arge Kontaktprobleme und Halluzinationen.
Eine verzwickte Angelegenheit. Ich beeinflusse das System. Es beeinflusst mich. Über Regeln. Oder über Möglichkeiten mit Grenzen? Was zum Geier sind meine Möglichkeiten und welche Grenzen habe ich?
Wo ist das Besondere in mir und wo bin ich eine Nummer. In dem Stück geht es um Träume und um die Suche. Wo bin ich gefangen, wo bin ich frei.
Das Ganze endet nicht nur metaphorisch in Zerrissenheit: Der Sergeant sprengt sich in Fetzen.
Mal wieder einer. Dass die menschlichen Konflikte doch immer wieder die Selben sind, macht es nicht leichter.
Oder?
Wie ist das schöne Gleichnis: Ohne den Widerstand der Luft könnte kein Vogel fliegen.
Ich schließe den Kreis zum Anfang des Artikels und erkläre den fliegenden Vogel zu einem Gefangenen der Luft.
Ophelia
Eine Klarinette in Helsingör. Eine altbekannte Geschichte, episch inszeniert: Schwerpunkt
Text. Die Gruppe führt den Blick des Zuschauers klar. Der Chor untermalt die Szenen der einzelnen Figuren. Immer sprachlich sehr sauber und gesetzt, oder rein lautmalerisch. Marke Jandl(Ottos Mops hopst fort. ;-)
Der Geist des toten Königs angenehm überraschend agil. Den generell gesetzten Stil erklärt Prinz Hamlet selbst: „Wo die Hoffnung versteinert ist, bleibt die Form.“ Denn die Dramatik trägt diese Geschichte bereits in sich:
An einem Tag findet das Leichenbegräbnis des ehemaligen
Königs und die Hochzeit der Königin mit König Claudius statt. Prinz Hamlet vermutet einen Komplott und einen Mord.
Er sucht nach einer Lösung, nach einer Wahrheit.
Der Prinz bedient sich der „Methode“ des Theaters zur Wahrheitsfindung: Es ist eine Schlinge in die der neue König sein Gewissen stecken muss. Die Falle schnappt zu: Hamlets Vater wurde ermordet.
Doch wie soll Hamlet mit der Wahrheit umgehen, die er findet? Verzweifelt und impulsiv beginnt er um sich zu schlagen.
Seine Freunde reichen ihm nicht die Hand. Sie zeigen einen interessanten Kontrast zwischen innerer und äußerer Haltung: Vor der Königin und dem neuen König Claudius stehen sie gerade und aufrecht, aber innerlich kriechen sie vor dem Königspaar. Sie beugen sich willig der höheren Machtinstanz.
In der nächsten Szene krümmen die Beiden vor Hamlet den Rücken, stehen innerlich jedoch erhoben über ihm. Eine Erinnerung daran, die Menschen von zweierlei Seiten zu betrachten, in dem was sie Tun und in dem was sie Sagen.
Einzig die junge Ophelia geht wahrhaft liebend auf ihren Hamlet zu. Wird von dem Geliebten aber als Kind abgestempelt und nicht Ernst genommen: Hamlet weist die ausgestreckte
Hand fort, schreckt Ophelia ab und rennt sich selbst in den Wahnsinn. Immer tiefer verwickelt er sich in den Stricken der Situation, eben weil er sie so klar erkennt.
Der Prinz mimt den Verrückten, vor sich selbst und vor den Anderen. Bis er schließlich im Affekt Polonius ersticht.
„Wir wissen, was wir sind, aber nicht, was wir sein können.“, so Prinz Hamlet. Er wählt den Freitod. Ophelia ertränkt sich. Das ist eine Art mit der Wahrheit umzugehen. Altbekannt. Der fröhliche Nietzsche ruft auf zu einer anderen Suche: „Es gibt Höhen der Seele, von wo aus gesehen selbst die Tragödie aufhört, tragisch zu wirken.“
Der Revisor
Wie so oft an diesem Theatertag: Ein Neuling wagt sich in ein humpelndes, aber ratterndes Dorfsystem. „Der Revisor kommt !“, erschallt es im Dörfchen. Neuigkeiten flitzen wie Blitze
Die Bühnenbilder wechseln fließend. Frisiersalon, Metzgerei und Irrenanstalt, aufgebaut aus Körpern und Kästen. Live-Musik der Schüler selbst umspielt die Szenen und untermalt die Übergänge.
Das kleine Dorf vom Stadthauptmann ist eifrig bemüht, seine Fassade der Redlichkeit aufrecht zu erhalten, denn die Betriebe der Dorfbewohner entsprechen nicht der gesetzlich verlangten Norm. Darum leiden sie alle unter der furchtbaren Angst vor der Bewertung des Revisors.
Bloß gut, dass letzten Endes die Mühe umsonst ist, und der Revisor selbst gar keiner ist. (Ups. Damit ist das Ende verraten.)
Das erklärt jedenfalls, warum der Revisor alle kleinen Regelverstöße gönnerhaft übersieht. Man könnte auch sagen, er findet immer einen beispielhaft positiven Blickwinkel auf die Dinge. Nur bei der Moritat des glücklich rotzenden Metzgers setzt sich der Körper durch: Trotz gutem Willen wird selbst dem Revisor übel.
In ihren Fassaden und Eitelkeiten bewahren sich in diesem Stück alle Figuren eine einfache Lebendigkeit. Jeder hat seine Macke. Der tapfere Stadthauptmann ist ständig um Autorität bemüht und je nach Aufwandsgrad rot angelaufen. Sein Töchterchen poliert ständig ihre Fassade und macht wenig Hehl darum, dass sich dahinter nicht viel verbirgt.
Macken „machen uns als Person nun mal aus“. Sprich sie lassen sich gut nutzen um sich auf ihnen auszuruhen.
Puh! Es ist nun mal furchtbar anstrengend ihre Kraft für Veränderung zu Nutzen.
Das Lustige „Wer bin ich Spiel“
Das Lustige „Wer bin ich Spiel“ vom 13. Theatertag.
Fragte der Seragant(Polizei) und der Gestrandete(Insel): Was soll ich sein? Antworten die Mächtigen: Gefangener und Bommelbrummbär.
Hm. Beides nicht gut. Also am lieber nicht fragen – jedenfalls nicht die anderen. Aber wo suchen wir dann? Huhu? Wer bin ich?
Hamlet gibt die letzte Antwort: Wir wissen, was wir sind, aber nicht, was wir sein können
Liegt also das Ziel schon auf dem Weg.
Wer dass nicht sieht endet: Der Theatertag endete mit:
3 Selbstmorden, drei Systemfluchten, mindestens vier Morden.
Die Stücke voll Anregungen, die nach Außen präsentierte Fassade und Autorität zu hinterfragen. Sei es der eingereiste Revisor, oder die Spaziergänge von Mutti und Pappi Fledermaus. Anregung zu Distanz. Hmnjo. Wichtig.
Und wo bitte bleibt die Nähe und das Vertrauen? Hamlet nimmt Ophelia nicht Ernst, bezeichnet sie als Kind und stellt sich über sie.
Ziemlich hoffnungslos.
Außer die präsentierte romantische Liebe. Wo sind die Menschen, die sich wahrhaft Lieben und auch Streiten können, einander dabei trotzdem wertschätzend behandeln? Die Künstler! Ein Hoch auf alle. Wer dazu gehört, kann sich ruhig hiermit auf die Schulter klopfen.
In keinem der Stücke des Tages wurde das gezeigt, aber es lässt sich aus den Fehlern der anderen ebenso gut lernen. Abgesehen davon, reicht es manchmal auch sich zu freuen, was für ein Leben man NICHT führt um in unserem schönreichen Europa sich ein Bisschen besser mit dem eigenen Schicksal abzufinden.
Es ist schon ein merkwürdiges Paradoxon über die Begegnung zweier Menschen. Natürlich bedürfen wir der Distanz, sonst verlieren wir uns Selbst, und es gibt keine Mitte aus der wir jemandem begegnen könnten. Aber das was uns erfüllt, eine Begegnung von Mitte zu Mitte, fürchten wir oft. Weil wir den Wert der Mitte zu gering oder zu hoch schätzen um ihn zu Offenbaren. Dabei ist der Gegenüber nicht mehr und nicht weniger als wir Selbst. Als ein Mensch. Das sagt sich leicht. Es geht uns aber in den vielen verschiedenen Rollen und Hierarchien, die wir durchlaufen schnell verloren. Außerdem ist so ein Kern nun mal verletzbar.
He! Außerdem will ich mich doch auch gar nicht mit allen Teilen! Sympathie gibt es nicht umsonst. (Sagt die Wächterin der inneren Schätze.)
Die Bedürfnisses des jeweiligen Vertreters des „inneren Parlaments“ über oder unterschätzen wir. Das innere Parlament, das sind die netten Leute die die Kämpfe ausfechten. Innen im Kopf oder Außen mit Mutti. Und jeder innere Moralapostel hat da natürlich seinen Senf dazuzugeben. Manchmal lassen sich diese Streithammel sich nicht ein Mal herab ihre Forderungen in deutlicher Form zu artikulieren. Nein, es wird nur explodiert. Peng.
Denn es sind nun ein Mal viele:
Ich nur für mich(mit schon etwa 1 Mio Stimmen und doppelt so vielen Gegenstimmen). Ich mit dir in dieser Situation(und deine Million Stimmen und doppelt so vielen Gegenstimmen). Ich in dieser Gesellschaft(Huhu! Könnte mal jemand diesem Parlament Diplomatie beibringen, damit aus dem Kontrast der Gegensätze eine wirkungsvolle Dynamik entsteht?) Ich als Staubkorn im Universum(Hallo, Mister Gott!). Viel Raum für Durcheinander.
Flucht. Konfrontation. Distanz. Harmonie. Einheit. Akzeptanz. Distanz. Kontaktangst. Wie gesagt, den Umgang wählen wir selbst, aber die Art des Umgangs mit Körper und Geist wird uns durch die Gesellschaft gelehrt, in der wir Aufwachsen. Und die Möglichkeiten und Grenzen gesetzt. Und ich finde es beruhigend, dass die menschlichen Konflikte ungefähr die Selben sind. Augen offen halten.
>EIN RÜCKBLICK ZUM 13ER-TAG